„Noch nie so großes Interesse für ein Bildungsprogramm erlebt“
Nach den Sommerferien beginnt in mehr als 2.000 Schulen das wichtige Startchancen-Programm. Sind die Schulen gut vorbereitet? Das diskutierten wir im vierten digitalen Live-Talk STARTCHANCEN KONKRET am 24. Juli mit der Bildungswissenschaftlerin und Transformationsexpertin Prof. Dr. Anne Sliwka von der Universität Heidelberg. Moderiert vom Bildungsjournalisten Christian Füller schilderte Frau Sliwka den knapp 90 Teilnehmenden, worauf es zum Start des Programms ankommen könnte.
Die Bedeutung des Startchancen-Programms
Angesprochen auf den Stellenwert des Programms stellte Sliwka fest, dass sie noch nie ein so großes Interesse an einem Bildungsprogramm erlebt habe. Sie sprach zugespitzt von einer „Goldgräberstimmung“. Trotz des großen Potenzials müsse man sich jedoch bewusst sein, dass Veränderungsprozesse Zeit benötigen und es noch nicht klar sei, ob der „Tipping Point“ bereits erreicht sei. Der Tipping Point ist der Moment, an dem kleine Veränderungen eine kritische Masse erreichen und eine größere, nachhaltige Transformation auslösen. Sliwka betonte, dass Geduld und kontinuierliches Engagement notwendig seien, um die langfristigen Ziele des Programms zu erreichen.
„Man kann auch kritisch auf das Programm schauen“
Grundsätzlich biete das Startchancen-Programm eine große Chance und könne im besten Fall dazu beitragen, dass sich das Schul- und Bildungssystem verbessert, so Sliwka. Allerdings müsse man auch bedenken, was mit den Schulen passiere, die nicht am Programm teilnehmen – hier gäbe es ein gewisses Frustpotenzial. Die Frage müsse erlaubt sein, „was mit der 4.001sten Schule ist“: Das Startchancen-Programm unterstützt aktuell rund 2.000 und langfristig 4.000 Schulen in Deutschland, insgesamt gibt es in der Bundesrepublik mehr als 32.000 allgemeinbildende Schulen.
Leadership als Schlüsselkompetenz
Auf die Frage von Christian Füller, was Schulleitungen, die bald mit dem Programm starten, beachten sollten, sagte Sliwka: „Es rollt sich ein Chancenraum vor uns auf und der will gestaltet werden – auch auf Einzelschulebene.“ Sie hob die Bedeutung von Leadership hervor: „Es kommt auf die Führungskraft von Einzelpersonen und kleinen Teams an, die Schulen in die Zukunft zu führen.“ Schulleitungen müssten sich ermutigt fühlen, eigenständig Entscheidungen zu treffen und innovative Ansätze zu verfolgen. Sliwka betonte, dass Leadership nicht nur in großen Strukturen, sondern gerade in kleinen, agilen Teams entscheidend sei. Diese Teams könnten schneller auf Veränderungen reagieren und neue Ideen umsetzen.
Ein Sozialexperiment für die Bildung
Sliwka bezeichnete das Startchancen-Programm als „Sozialexperiment“. Sie unterstrich, dass aktuell viele andere für die Schulen sprechen würden – darunter Stiftungen, Medien und Wissenschaft. Schulen bräuchten „mehr Empowerment“ und sollten stärker in der Lage sein, eigene Entscheidungen zu treffen und innovative Konzepte umzusetzen. In anderen Ländern wie Kanada sei so etwas bereits viel etablierter.
Das Chancenbudget für Schulen
Ein zentrales Thema war das Chancenbudget, das Schulleitungen mit einer gewissen finanziellen Eigenständigkeit ausstatten soll. Füller fragte, ob die Schulleitungen dieses Budget wirklich in die Hand bekommen oder ob es bürokratische und verwaltungstechnische Hürden gebe. Sliwka: „Ich denke, dass die Bundesländer da einiges selbst gestalten werden.“ Sie vermute, dass es innerhalb des Programms unterschiedliche Wege geben werde und die Vorstellung, dass das Programm „top-down“ durchgesteuert werden könne, absurd sei. Jedes Bundesland habe eigene Dynamiken und Kulturen – auch in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Schulen. In einigen Bundesländern könnten Schulleitungen mehr Freiheit bei der Verwendung der Mittel haben, während in anderen striktere Kontrollen bestehen könnten.
Vernetzte Autonomie
In Bezug auf den Austausch zwischen Schulen hob Sliwka die internationale Tendenz zu mehr vernetzter Autonomie hervor. In Baden-Württemberg werde dies gerade im Projekt „wir.lernen“ erprobt, das von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert wird. Sliwka erklärte: „Die Schulleitungen treffen sich miteinander und auch u. a. mit Schulräten, lernen zusammen, diskutieren inhaltliche Konzepte.“ Jede:r nähme die Ideen daraus an seine Schule und ins eigene Kollegium mit. In Kanada hätten solche Netzwerke laut Sliwka dazu geführt, dass Hierarchien flacher werden und Schulleitungen mehr Autonomie erhalten.
Startchancen Navigator und weitere Diskussion
Auf unserer Seite findet ihr den Startchancen Navigator, der u. a. mit einem Chatbot und weiteren Materialien Orientierung und Hilfe zum Startchancen-Programm bietet.
Die Themen des Talks sowie die weiteren Elemente des Startchancen-Programms könnt ihr in unserem sozialen Netzwerk für Bildung vertiefen und mit der breiteren Bildungscommunity diskutieren. Dafür haben wir einen eigenen Bereich im Netzwerk angelegt.